Das Inklusionsgesetz und seine Auswirkungen

Posted on July 17, 2018 in Inklusion by

Bildung ist weiterhin Sache der Länder. Mit dem sogenannten Inklusionsgesetz hat die Politik den Weg für Bildungsfreiheit für Menschen mit Behinderung bundesweit geebnet. Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung dürfen von nun an zusammen mit den Erziehungsberechtigten selbst auswählen, auf welche Schule sie gehen möchten. Die Kinder können dank der Gesetzesverabschiedung zwischen einer allgemeinen Schule und einer spezifischen Förderschule wählen. Ziel ist es, beide Gruppen gemeinsam unterrichten zu können und Normalität hierfür zu erreichen. Laut der Politik ist Inklusion das Aushängeschild für jeden modernen Staat. Das Inklusionsgesetz zeigt, dass eine Gesellschaft sich gemeinsam orientiert und im Sinne der Menschenrechte einen Konsens erreicht. Den rechtsverbindlichen Konsens erreichte Deutschland im März 2009, mit der Ratifizierung der UN-Konvention.

Was besagt die Rechtsverbindlichkeit der UN-Behindertenrechtskonvention?

Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Das Übereinkommen behandelt nicht spezielle Rechte für Menschen mit einer Behinderung, sondern allgemeine Menschenrechte, wie z. B. das fundamentale Recht auf Bildung. Das Übereinkommen verpflichtet alle Vertragsstaaten dazu, sämtliche Menschen- und Grundrechte für alle Menschen mit oder ohne Behinderung zu garantieren und zu fördern. Dabei ist das Diskriminierungsverbot ein unmittelbar anzuwendendes Recht.

Diskriminierungsverbote sind in diesem Zusammenhang ein wesentlicher Kernbestandteil des Übereinkommens. Der Artikel 4 Absatz 2 der UN-Behindertenrechtskonvention ist allerdings in Hinsicht auf die progressive Realisierung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte unter einem Vorbehalt formuliert. Diese Rechte können demnach nur unter Ausschöpfung der verfügbaren Mittel des jeweiligen Vertragsstaates verwirklicht werden. Die Verpflichtung selbst bleibt.

Die sofort anwendbaren Rechte bleiben von diesem Vorbehalt unberührt. Die Erfüllung dieser Rechtsverbindlichkeit bezieht sich vor allem auf die zeitliche Umsetzung. Die Vertragsstaaten müssen so schnell wie möglich Schritte zur Verwirklichung der Umsetzung der Rechte einleiten. Unmittelbar anwendbar sind etwa die rechtliche Pflicht zur Gleichbehandlung und die Einhaltung des Diskriminierungsverbotes.

Im Kern der UN-Behindertenrechtskonvention müssen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen auf der Verwaltungsebene und in der Gesetzgebung treffen. Damit verbunden ist auch gleichzeitig eine Aufhebung oder Änderung bereits bestehender Gesetze, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung zum Gegenstand oder zur Folge haben.

Von Exklusion zur Inklusion

Wenn man heutzutage von Inklusion sprechen darf, sollte man aber auch auf die Historie zurückblicken. Früher nannte man Kinder mit seelischen oder körperlichen Einschränkungen „Kinder mit Sinnesfehlern”. Fast schon ein eleganter Ausdruck für die Besonderheit der Betroffenen. Sogenannte Hilfsschulen wurden damals als großer Fortschritt gefeiert, da Menschen mit einer Behinderung nun endlich eine Art der Bildung erhalten konnten. Zuvor waren sie komplett ausgeschlossen. Mit dem Wandel der Zeit wurden Hilfsschulen zu sogenannten Sonderschulen umbenannt. Lehrer wurden speziell für die Bedürfnisse der Betroffenen ausgebildet und lernten den Umgang mit den unterschiedlichen Defiziten. Die Aussonderung machte sich keinen Namen und so wurde aus den Sonderschulen die Förderschulen. Geändert hatte sich aber lediglich die Begrifflichkeit, da die Kinder weiterhin exkludiert blieben.

Grundlagen zum Gesetzeserlass

In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde mehr und mehr in dem Bereich der Förderung von Menschen mit Behinderung getan. Das Wort Integration wurde geboren und schnell wieder abgeschafft. Es sollte nicht darum gehen, etwaige Außenseiter einzubinden, sondern Menschen von Beginn an aufzunehmen. Jeder sollte das Recht haben, uneingeschränkt an Freizeitaktivitäten, Bildungsmaßnahmen und normalen Alltagshandlungen teilzunehmen. Der Leitgedanke der Inklusion ist also die gleichberechtigte Teilhabe am Leben und in der Gesellschaft.

Besonders der Inhalt der inklusiven Bildung sorgt auch weiterhin für negative Reaktionen. Das allgemeine Bildungswesen für jeden zugänglich zu machen, schlägt auf widersprüchliche Resonanz und gehört aber unabdingbar zum Inklusionsgesetz dazu. Förderschulen bleiben aber dennoch bestehen und können auf Wunsch den allgemeinen Bildungsstätten vorgezogen werden.

Wo beginnt Inklusion?

Inklusion kann uns natürlich nur bedingt gesetzlich vorgeschrieben werden. Inklusion beginnt in den Köpfen. Es ist schön als modernes Land entsprechende räumliche und personelle Ausstattungen zu haben, wie wir es in Deutschland schon zum Teil präsentieren können. Aber noch wichtiger ist, das Verständnis für die Situation des anderen aufzubrinegen. Auch Inklusion bedarf einer Entwicklung und kann nicht von heute auf morgen realisiert werden. Für die nächsten Generationen wird es dank des Gesetzeserlass und eines breiteren gesellschaftlichen Verständnisses hoffentlich selbstverständlich sein, mit Menschen mit Behinderung zusammen zu leben und zu lernen.

Funktioniert Inklusion auch praktisch? Was kritisieren Gemeinden und Kommunen?

Die Umsetzung der Inklusion in Gemeinden und Kommunen bereitet beachtliche Probleme. Besonders bei den Formulierungen von Schulgesetzen, die Schülern den gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Erziehung gewährleisten sollen, sind Versprechungen schnell niedergeschrieben. Was längst hätte sein müssen, liest sich in der schriftlichen Niederlegung wie ein revolutionärer Akt. Doch sind Buchstaben bekanntlich geduldig.

Während Kinder mit einer Behinderung an diversen Schulen täglich mit Barrieren zu kämpfen haben, streiten sich die kleinen Rädchen im Getriebe der Gemeinden und Kommunen über Kostenübernahmen, Vorschriften und Ermessensspielräume. Inklusion gibt es eben nicht ohne Wenn und Aber, sondern scheinbar nur mit Wenn und Aber. Der Optimist sieht darin eine Herausforderung und eine Chance. Der Pessimist sieht in der Idee der Inklusion eine bloße Gerechtigkeitstheorie.

Konkrete Kritikpunkte der Gemeinde und Kommunen werden gegenüber dem Land geäußert, das sich in rechtzeitigen und konkreten Bestimmungen noch üben muss. Besonders bei den geplanten Baumaßnahmen, die Menschen mit Behinderung einen barrierefreien Zugang ermöglichen sollen, gibt es behördliche Schwierigkeiten, die sich in Formalismen ausdrücken.

Während sich der Bau von Aufzügen in einer Schule über Monate hinziehen kann, sind die Wörter erforderlich und angemessen schnell in entsprechende Regelungen eingebaut. Sie sind zwar nicht als bloße Soll-Vorschriften formuliert, aber sie drücken einen undefinierten Ermessensspielraum aus, der in der Praxis Zeit und Geld kostet.

Wird Deutschland den Vorgaben gerecht?

Deutschland gehört zu den ersten Staaten, die die UN-Behindertenrechtskonvention und das Fakultativprotokoll unterschrieben haben. Im Jahr 2009 trat das Übereinkommen in Deutschland in Kraft. Seitdem sind neun Jahre vergangen. Die Frage nach der Einhaltung der Vorgaben in den einzelnen Bundesländern ist deshalb gerechtfertigt.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat dazu ca. 20 behindertenpolitische Verbände aus NRW (Nordrhein-Westfalen) angehört. Die Anhörung betraf u. a. Familie, Schule, Erwerbstätigkeit und die Möglichkeit der Mobilität von Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich NRW ergaben sich Berichte, dass besonders im schulischen Bereich wenig getan wurde. Es fehlt nach wie vor an politischen Maßnahmen und Rahmenbedingungen.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist mit dem Monitoring der Verwirklichung des Übereinkommens betraut worden. Das Land NRW ist ein Beispiel dafür, dass bei der Umsetzung der Inklusion nicht viel getan wurde. Und auch in den restlichen Ländern der Bundesrepublik sieht es im Ergebnis nicht anders aus.

 

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